Lesung: "Train Kids"

Dirk Reinhardt stellte sein Roman Train Kids am Wagenburg-Gymnasium. Sehr plastisch erklärte er uns die Situation vor Ort. Hier eine Zusammenfassung von seine Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht (Iliana Kalara):

Der 14-jährige Miguel verlässt zum ersten Mal in seinem Leben seine Heimat, ein ärmliches Dorf in den Bergen von Guatemala. Eine große Sehnsucht treibt ihn: Er will seine Mutter wiedersehen. Vor sechs Jahren ist sie gegangen, in den Norden, in die USA, wo es mehr zu verdienen gibt, und hat ihn und seine kleine Schwester Juana bei Verwandten zurückgelassen. In jedem ihrer Briefe hat sie versprochen, ihn zu sich zu holen, aber immer ist etwas dazwischengekommen. Nur die Erinnerung an sie ist Miguel geblieben.

Jetzt will er es nicht länger hinnehmen, allein zu sein – fast wie ein Waisenkind, denn auch sein Vater hat die Familie früh verlassen. Er sehnt sich nach seiner Mutter, will wieder mit ihr zusammen sein. Er will sie fragen, warum sie nie zurückgekehrt ist. Und vor allem will er wissen, ob sie ihn noch liebt – oder ob alles in ihren Briefen gelogen war. So macht er sich auf den langen Weg nach Norden, von dem so viel erzählt wird: quer durch Mexiko, illegal, als blinder Passagier auf den Güterzügen.

An der Grenze nach Mexiko trifft er andere in seinem Alter, die das Gleiche vorhaben. Da ist Fernando aus El Salvador, der Erfahrenste von ihnen, der die Reise schon öfter versucht, aber nie beendet hat – aus Gründen, über die er nicht gerne spricht. Da ist Jazmina aus Nicaragua, die sich Jaz nennt und als Junge verkleidet, um den Gefahren zu entgehen, die gerade auf Mädchen lauern. Da ist Emilio, der schweigsame Indiojunge aus Honduras. Und da ist Angel, der lustige Kleine, der zu seinem bewunderten großen Bruder nach Los Angeles will. Die fünf freunden sich an und beschließen, die Reise gemeinsam zu versuchen.

Viele Gefahren warten in Mexiko auf sie. Banditen lauern an den Gleisen, um ihre Ersparnisse zu stehlen. Polizisten und die Agenten von La Migra, der Migrationsbehörde, machen Jagd auf sie. Das Aufspringen auf die Züge ist gefährlich, ein Fehltritt kann das Leben kosten. Die Hitze im Dschungel, die Kälte im Gebirge und die Trockenheit in der Wüste machen ihnen zu schaffen. Bald sind sie völlig erschöpft und übermüdet, denn auf den Zügen einzuschlafen kann verhängnisvoll sein. Und zu essen haben sie auch nichts mehr, nachdem die letzten Ersparnisse verbraucht sind.

Aber zum Glück hält die Reise nicht nur Strapazen bereit. Nie hat Miguel bessere Freunde gefunden als die, mit denen er nun unterwegs ist – vor allem Fernando, der ihm zum Vorbild wird, und Jaz, zu der er sich hingezogen fühlt. Außerdem erkennt er, dass nicht alle in diesem Land, das auf den ersten Blick so abweisend wirkt, Feinde sind. Denn immer wieder finden er und die anderen gerade dort Unterstützung, wo sie es am wenigsten erwarten – sei es in einer Kirche, wo der Pfarrer sie vor der Polizei versteckt, sei es bei einer Bauernfamilie, deren Sohn selbst auf dem Weg nach Norden verschollen ist und bei der sie für eine Nacht unterkommen können.

Über mehr als zweieinhalbtausend Kilometer führt ihre Reise. Dann erreichen sie die Grenze zu den USA, dem „Gelobten Land“, von dem sie so viel gehört haben. Dort aber liegt das größte Hindernis noch vor ihnen: der Grenzfluss, der Tag und Nacht bewacht wird und so unüberwindlich wie eine Gefängnismauer wirkt. Allein können sie nicht hinüber, sie brauchen die Hilfe eines „Kojoten“, eines Menschenschmugglers. Um ihn zu bezahlen, tun sie Dinge, die sie nie tun wollten. Und es schlägt Fernandos Stunde, denn er hat mit einem der Kojoten noch eine Rechnung offen.

Dirk Reinhardt