Karl von Moor in Therapie

Im Juli spielte die Theater-AG Schillers „Die Räuber“

„Man stelle mich vor ein Heer Kerls wie ich und aus Deutschland soll eine Republik werden, gegen die Rom und Sparta Nonnenklöster sind.“ Die berühmten Tiraden des Karl von Moor (überragend interpretiert von Sophie Ringel), welche das Publikum der Mannheimer Uraufführung im Jahr 1782 zu republikanischen Schwärmereien in absolutistischen Zeiten, Ohnmachtsanfällen und Begeisterungsstürmen hingerissen hatten, bekommen einen eigentümlichen, so noch nicht gehörten Klang, wenn diese im Liegen auf der Chaiselongue eines „Therapeuten“ deklamiert werden. Unterlegt mit der suggestiven Musik aus der fulminanten Arte-Serie „En thérapie“ wurde das für alle Bedürfnisse umfunktionierte Sofa an diesem Abend zum zentralen Handlungsort einer dynamischen Sitzung, an deren Ende die Protagonisten teils den Verstand, teils auch noch das Leben verlieren.

Indem Schillers Stück auf die Couch gelegt wird, rücken die auffällige Absenz der Mutter und das manische Abarbeiten Karls am Vater (souverän gespielt von Maëva Pirk) ins Licht der Scheinwerfer im alten Foyer. Karl bringt seinen Regressionswunsch buchstäblich zum Ausdruck und wünscht: „Daß ich wiederkehren dürfte in meiner Mutter Leib!“ Die brachiale Therapie entlarvt die verdrängte Schuld und findet ihr Ende in der tödlichen Schlinge der Krawatten.

Die männlichen Protagonisten des Stücks wurden mit Schlips und Kragen dargestellt von neun Schülerinnen aus Klasse 8 und 9: Spiegelberg, facettenreich gespielt von Flavia Simons, sowie die Räuberbande (mit Hingabe verkörpert unter anderem von Cécilia Krüger und Eva Gugeler) und diverse Helferfiguren (wandlungsreich gespielt von Marie Wenzel und Lisa Vandamme) stehen bei Schiller bekanntlich nur einer einzigen Frauenrolle gegenüber: Amalia. Diese wurde konsequent von einem Schüler dargestellt, hervorgehoben durch seine Fliege: Maximilian Rüdel gab Karls Angebetete mit Augenzwinkern und der gehörigen Portion Selbstironie. Die aus der Situation geborene Umkehrung der Geschlechterrollen resultierte in einer spannenden Brechung und witzigen Karikatur der im Stück dominanten fatalen patriarchalen Verhältnisse.

Die Rolle des Fieslings - „Franz heißt die Kanaille“ - wurde zudem auf zwei Schauspielerinnen aufgeteilt, wodurch Franz (mit intensiver Präsenz verkörpert von Sara Bräuning und Katharina Lotterer) den doppelten Handlungsspielraum für seine Intrigen erhält. Auch für ihn kommt jede Therapie zu spät.

Die großzügigen Kürzungen legten den Kern der im Original wortreich ausufernden Handlung bloß. Zugleich machte die Straffung auf eine Spielzeit von siebzig Minuten Schillers monumentalen Klassiker für die Schülerinnengruppe zugänglich und spielbar, welche die Einfälle des Regisseurs nicht ohne Aufregung, aber mit großer Spielfreude und viel Tempo auf die asketisch funktionalisierte, auf das Sofa reduzierte Bühne brachte. Das Publikum dankte mit großem Applaus.

Ralph Maier